Leondrino im DATEV magazin: Titelthema E-Payment – Bezahlverfahren der Zukunft

KRYPTOWERTE ALS ZAHLUNGSMITTEL – 29. OKTOBER 2020

Die neue Welt der Parallelwährungen

VON PETER REUSCHEL

Ein relativ einfach zu nutzendes E-Payment könnte das Tor öffnen für die Entwicklung konkurrierender privater Zahlungsmittel – so wie von Prof. Friedrich August von Hayek bereits in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gefordert.

Die Hygienemaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie haben zu einer beschleunigten Akzeptanz von Online Payment und insbesondere Mobile Payment geführt. Die Wallet-Angebote der großen Internetgiganten, wie zum Beispiel Apple Pay, Samsung Pay oder Google Pay, werden aufgrund ihrer Marktmacht zu einer beschleunigten Standardisierung der neuen mobilen Zahlungsverfahren führen, wie wir es bereits in China durch Alipay und WeChat Pay beobachten konnten. Parallel dazu werden mit zunehmender Akzeptanz der mobilen Zahlungsverfahren auch vergleichbare Angebote für die Nutzung von Kryptowerten der verschiedensten Art geschaffen. Die erste Phase der Einführung von Kryptowerten in Form von Currency, Utility und Security Token in der Initial-Coin-Offering(ICO)-Euphorie im Jahr 2017 war durch den Fokus auf eine Geldbeschaffung für Blockchain-Teams und andere Start-ups geprägt. Erfahrungen aus der Geldtheorie spielten dabei eine untergeordnete Rolle, sodass eine hohe Volatilität für fast alle Token-Arten der ersten Generation normal war und auch heute noch ist.

Ein funktionierender Zahlungsverkehr benötigt allerdings wertstabile Zahlungsmittel, die sicher und effizient übertragen werden können. Blockchain-basierte Initiativen der zweiten Generation mit Fokus auf sogenannte Stable Currencies, so etwa Facebooks Libra in Partnerschaft mit namhaften Consumer-Marken, wie zum Beispiel Spotify und Uber, haben aufgrund der Marktreichweite das Potenzial, zu einer sprunghaften Akzeptanz von digitalen Währungen zu führen. Unter Stable Currencies werden aktuell vorrangig Kryptowährungen verstanden, die fest an eine staatliche – also von einer klassischen öffentlichen Zentralbank verwaltete – Währung gebunden sind. Darunter versteht man beispielsweise die an US-Dollar, Euro und Pfund gebundenen Single Currency Stable Coins von Libra, die dort mit dem Libra-Strategiewechsel unter dem Begriff Libra 2.0 im April 2020 angekündigt wurden. Bei Firmenwährungen nach Leondrino-Definition orientiert sich der Stabilitätsbegriff nach einer anfänglichen Bindung an jeweils eine staatliche Währung in den späteren Phasen des Währungslebenszyklus stärker an der Preisentwicklung eines Warenkorbs von in der jeweiligen Firmenwährung angebotenen Produkten und Dienstleistungen. Beeinflusst durch die privaten Initiativen verstärkt sich der globale Wettbewerb bei

der Einführung digitaler Währungen, die von Zentralbanken herausgegeben werden. Besonders intensiv wurde die Entwicklung in China mit dem Digital Yuan vorangetrieben. Am Anfang sah es nach einem reinen Ersetzen von Bargeld aus – insbesondere auch, um aus Sicht der chinesischen Zentralbank nicht in eine vertiefte Abhängigkeit von den beiden großen chinesischen Internetgiganten Alibaba (Alipay) und Tencent (WeChat Pay) bei der Handhabung sowie dem Reporting rund um Bargeld zu kommen.

Mittlerweile wird vonseiten der USA ein schrittweiser Angriff auf die Dominanz des US-Dollar und das globale Swift-System vermutet. Als Gegenmaßnahme wurden in den USA in den letzten Monaten von staatlicher Seite die Planungen für eine eigene Digitalwährungsstrategie verstärkt. Die Europäische Zentralbank und andere Zentralbanken bereiten sich ebenfalls jeweils auf digitales Zentralbankgeld vor, wobei es neben technischen Fragen auch noch viele offene Detailfragen rund um die Grenze zwischen der Verantwortung der Zentralbank und den Retail-Banken geht. Es sieht so aus, als ob wir jetzt eine Welt bekommen, in der öffentliche und private Währungen im Wettbewerb stehen, so wie sie von Prof. Friedrich August von Hayek bereits in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts als Ergebnis von Fehlentwicklungen im Finanzsystem gefordert wurde. Welche Auswirkungen hat das aber potenziell auf den Zahlungsverkehr?

Beispielszenario in einer Multi-Currency-Welt

Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Multi-Currency-Wallet, mit dem Sie verschiedene staatliche und private Währungen Ihres Vertrauens verwalten und zum Zahlen nutzen können – sowohl in einem Online-Shop als auch im Laden oder Restaurant (Point of Purchase). Da die jeweils hinter den digitalen Währungen stehenden Markenfirmen ihre Kunden für loyales Verhalten belohnen und anhand der Transaktionsdaten weitere Einkaufsentscheidungen abschätzen wollen, gibt Ihnen die Markenfirma bei Wahl der entsprechenden Markenwährungen einen Preisnachlass zum Listenpreis. Sollten Sie bereit sein, Ihre Transaktionsdaten innerhalb des gesamten Ökosystems der Marke zu teilen, dann bekommen Sie jeweils bei allen Akzeptanzstellen der Markenwährung einen Vorteil, wie etwa einen Preisnachlass oder im Restaurant ein Extragetränk oder Ähnliches.

Die Zahlung mit Ihrer Pay-App funktioniert kontaktlos im Wechselspiel mit dem Kassensystem des Händlers oder Restaurants. Sie können vor der Zahlung noch einmal den elektronischen Beleg auf Ihrem Gerät überprüfen, bestätigen oder reklamieren und bei Bedarf auch speichern. Damit Sie den Überblick über Ihre verfügbare Liquidität behalten, können Sie sich in Ihrem Wallet jederzeit die Summe aller Ihrer Währungskonten in der von Ihnen als Wertmaßstab genutzten Währung anzeigen lassen. Die jeweiligen Kontostände der Einzelwährungen werden dann anhand des zuletzt festgestellten Umtauschkurses in die Referenzwährung Ihrer Wahl umgerechnet. Dieses Szenario ist keine Utopie mehr, sondern wird bereits im Praxisalltag, etwa in mehreren Restaurants mit vielen Konsumenten, im Rahmen einer kontrollierten Verfügbarkeit der Restaurantwährung LEAF getestet. Gerade Restaurants sind von der Corona-Pandemie besonders betroffen und suchen nach Möglichkeiten, schneller zu digitalisieren, um Pre-Order-Geschäft ergänzend zum Standardgeschäft im Restaurant zu generieren oder um über eine digitale Restaurantwährung effiziente Kundenakquise und Kundenbindung zu betreiben. Von der gestiegenen Bereitschaft zur Unterstützung verschiedener elektronischer Bezahlverfahren ist der Sprung in eine digitale Währung eines Netzwerks von Restaurants nicht mehr zu groß.

Vertrauen in private Währungen – ist das möglich?

Kann Vertrauen für eine Währung auch außerhalb von staatlichen Strukturen entstehen und sich behaupten? Schon im Jahr 2015 konnten sich bereits 45 Prozent der 25- bis 34-Jährigen in den USA vorstellen, von der Politik unabhängig herausgegebene Währungen zu nutzen. Eine Konvergenz zwischen dem Management einer Währung und klassischen Loyalty-Maßnahmen scheint aus Sicht der jüngeren Bürger kein Problem zu sein. Ganz im Gegenteil: Einerseits haben sich Gutscheinsysteme in der Praxis als Micro Economies seit Längerem bewährt und andererseits ist laut dem neuesten Edelman Trust Barometer das Vertrauen in vielen Ländern in die eigenen Regierungen und Institutionen nach wie vor problematisch. Diese veränderte Vertrauensbeziehung spiegelt sich auch in der Akzeptanz von Kryptowährungen wie Bitcoin wider, obwohl es für diese Krypto-Assets außer der Begrenzung der maximalen Menge der erzeugbaren Token keinerlei verpflichtende Akzeptanz von Waren und Dienstleistungen durch Firmen gibt.

Eine solche Kryptowährung wird auf der Basis von Trustless-Partnern eines für jeden verfügbaren Netzwerks betrieben – völlig unabhängig von öffentlichen Institutionen. Die Frage, ob die Geldwirtschaft ausschließlich öffentlich und vor allem durch immer größere Institutionen betrieben werden sollte, wird immer lauter gestellt. Überlegungen zu Verboten und Einschränkungen sind in demokratischen Staaten ab einer bestimmten Akzeptanz bei den Bürgern und aufgrund der unabhängigen Nutzbarkeit von Kryptowährungen auf den erwähnten trustless-basierten Netzen schwierig, so dass sich die Zentralbanken und Staaten dem Wettbewerb stellen müssen. Eine Bündelung von verschiedenen Rahmenbedingungen und Maßnahmen gepaart mit Technologie scheint das neue Rezept für die Schaffung und Bewahrung von Vertrauen in eine Währung zu sein. Dazu zählen:

  • ein funktionierendes Rechtssystem zur Durchsetzung von Verträgen,
  • ein unabhängiger Währungsausschuss,
  • Größe der beteiligten Partner (Volumen der Akzeptanzverpflichtungen),
  • die Intensität der Nutzung bei Austausch- und Bezahlvorgängen,
  • Regeln für das Management von Reserven und Sicherheiten und
  • eine Blockchain-basierte Infrastruktur für die Abbildung von Token und Token-Transaktionen mit einer modernen, verteilten Führungslogik (Governance).

Tokenisierung und Zahlungsvorgänge

Was sind Token und was ist mit Tokenisierung gemeint? Für nahezu alle Dinge dieser Welt, sowohl gegenständliche, beispielsweise ausgedrückt in einem Gewichtsmaß, als auch nicht gegenständliche, wie Rechte an der Gewinnpartizipation eines Unternehmens oder das Nutzungsrecht für ein Telefonnetz, können Standardeinheiten definiert werden. Diese Einheiten können elektronisch repräsentiert und einem Eigentümer oder mehreren zugeordnet werden. Sie werden in diesem Kontext Token genannt. Der Prozess der Zerlegung von gegenständlichen und nicht gegenständlichen Dingen in diese Einheiten, die Festlegung von entsprechenden Funktionen und Rechten, wie etwa Eigentums-, Zugangs- oder Nutzungsrechten, sowie Anreizsystemen bei der Nutzung dieser Einheiten nennt man Tokenisierung.

Man stelle sich vor, dass die Unterscheidung von Wertpapier-Token oder Token als Repräsentanz von Gütern keine Rolle mehr bei Bezahlvorgängen jeglicher Art spielt: Jeder Token kann direkt mit jedem anderen Token ausgetauscht werden. Das führt sofort zu Fragen bei Steuerberatern und Anwälten. Wie sind solche Vorgänge zu verbuchen? Welche Auswirkungen hätte das auf die Vor- und Nachbereitung von Gesellschafterversammlungen (Stichwort: Hinterlegung der Anteilsscheine)? Wie sieht die Besteuerung aus? Die Beantwortung dieser Fragen können wir verschieben. Aktuell wird wohl kein Regulator einen Token mit einem Recht auf Beteiligung am Gewinn einer Firma (Security Token) auch als Token für reine Payment-Vorgänge akzeptieren. Die steuerliche und juristische Komplexität ist einfach zu hoch. Neuerliche Versuche in der Schweiz, über eine digitale Aktienemission, also einer Ausgabe von Security Token, einen Teil dieser Token für Zahlungen in Form von sogenannten Microaktien nutzbar zu machen, sind gescheitert. Reine digitale Bartergeschäfte und damit ein Verschwinden von Geld mit seinen drei Grundfunktionen (Wertmessfunktion, Zahlungsmittel und Wertaufbewahrung) – egal, ob öffentlich oder privat herausgegeben und verwaltet – wird es also voraussichtlich nicht so schnell geben. Allerdings wird die vierte Dimension als Informationsquelle, wie die Nutzungsmöglichkeit der Zahlungsdaten für die Prognose von Einkaufsverhalten, stark an Bedeutung gewinnen.

Schnittstellen und Buchungsautomatisierung

Neben der Vielfalt an Zahlungsmöglichkeiten und Übertragungswegen kommt wahrscheinlich schneller, als viele glauben, die Dimension von parallelen Zahlungsmitteln und privaten Währungen hinzu – und dies geschieht parallel zu einer Erhöhung der Zahlungstransaktionen. Diese erhöhte Transaktionszahl gepaart mit der zusätzlichen Dimension von parallelen Kryptowerten als Zahlungsmittel führt am Anfang zu einer erhöhten Komplexität im Arbeitsalltag von Steuerberatern. Über standardisierte Schnittstellen und einen hohen Grad an Automatisierung von einfachen Buchungsvorgängen wird diese Komplexität mittelfristig wieder reduziert und eine effiziente Abwicklung möglich. Bei Leondrino unterstützen wir diesen Trend, zum Beispiel über die Bereitstellung von bereits in der Praxis erprobten Schnittstellen, wie der Leondrino-Payment-Schnittstelle. In Zusammenarbeit mit Einzelhändlern, Kassensystemherstellern, Steuerberatern sowie anderen Marktteilnehmern entstehen aktuell praxisgetrieben zusätzliche Schnittstellen zu klassischen Buchhaltungssystemen.

Eine notwendige Voraussetzung für eine flächendeckende Akzeptanz der Standardisierungsbemühungen sind einheitliche Interpretationen und Verbuchungsregeln von verschiedenen Token-Arten und Token-Klassen, die mit zunehmendem Markthochlauf forciert auch über die beginnende Einführung der Kryptoverwahrlizenz noch stärker in den Fokus rücken werden. Neben diesen Aktivitäten zur Erleichterung des Tagesgeschäfts ist zu erwarten, dass die Marktmacht der zunehmend involvierten Internetfirmen im Zusammenhang mit dem rasanten Umstieg in Richtung mobiler Verfahren mittelfristig zu einer Verringerung der Vielfalt an Zahlungsmöglichkeiten und Übertragungswegen führen kann. Eine beschleunigte, übergreifende Konsolidierung im Payment-Service- und Kassenmarkt ist ebenso zu erwarten, wie sich über die KKR-finanzierte Heidelpay und deren Beteiligung in Tillhub im Sommer sowie über das erfolgreiche Wachstum von Computop und anderen Payment-Service-Providern bereits andeutet. Diese Konsolidierungswelle hat zusätzlich zur Standardisierung und Buchungsautomation das Potenzial, die Komplexität der Arbeit von Steuerberatern im Umfeld von neuen Zahlungsmitteln und konkurrierenden Währungen mittelfristig zu verringern, sodass Steuerberater trotz der weiter steigenden Anforderungen Innovation im Hayek‘schen Sinne möglich machen können.

PETER REUSCHEL
Geschäftsführender Gesellschafter und Mitgründer der Leondra GmbH sowie Leondrino Inc. in Berlin